Broders hinkender und bemerkenswerter Vergleich
Einen klassisch hinkenden Vergleich unternimmt Herr Henryk M. Broder, wenn er das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge mit dem der deutschen Heimatvertriebenen auf eine Stufe stellt. Während die aus dem Kernland Palästinas Vertriebenen unter oftmals menschenunwürdigen Bedingungen seit 60 Jahren staatenlos in so genannten Flüchtlingscamps meist unter oder umgeben von israelischer Besatzung ihr eher karges Leben fristen müssen und sich dort natürlich auch vermehren, gelang vornehmlich in Südwestdeutschland nach anfänglich großen Schwierigkeiten der erfolgreiche Kraftakt einer nahezu vollständigen Eingliederung von aus den deutschen Ostgebieten und aus Südmittel- und Südosteuropa vertriebenen Deutschen. Letztere trugen wesentlich zum Wiederaufbau nicht nur im Nachkriegswirtschaftswunderland bei, bildeten aber nur dort einen wichtigen Wählerstamm für die CDU/CSU.
Ganz anders verhält es sich am östlichen Ufer des Mittelmeeres. Dort streiten hauptsächlich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwei unterschiedliche Glaubens- und Volkszugehörigkeiten um ein von beiden Seiten gleichsam als angestammt beanspruchtes Territorium. Dieser Konflikt wird zusätzlich von einem weltweit geführten Kampf um Vorherrschaft in der rohstoffreichen Gesamtregion überlagert, wo unterschiedliche Mächte ihre unterschiedlichen Süppchen kochen und zu diesem Zweck den Ursprungsstreit zwischen Israelis und Palästinenser weiter am Kochen halten.
Davon will Herr Broder aber nichts wissen. Er mystifiziert lieber den Jahrtausende währenden und immer wieder geschürten Judenhass und schwadroniert über die Ablösung eines vorgeblich allgemeinen elterlichen Antisemitismus durch einen Antizionismus zumeist linker Nachfahren in Deutschland. Damit kann man alles und nichts erklären, auf tatsächliche und vermeintliche Linke eindreschen und vor allem viele für das Zustandekommen der Hitlerei verantwortlich machen.
Es gab aber selbst Anfang 1933 noch eine Mehrheit gegen die Nazis und damit auch gegen die Ausgrenzung von Millionen Mitbürgern. So sah der sozialdemokratische Bürgermeister von Magdeburg Ernst Reuter schon Anfang März 1933 millionenfache Vertreibungen voraus, als er erklärte, dass das, was hier und jetzt begänne, mit dem Verlust der deutschen Ostprovinzen enden würde. Zu den Vertreibungen gesellten sich millionenfache Arbeitsklaverei, an der Leute verdienten, die Broder unerwähnt lässt, und ein bis dahin nie da gewesenes Völkermorden.
Im Gegensatz dazu verdeutlicht Broders Vergleich mit der in Deutschland wieder als Massenerscheinung auftretenden Armut und der sich um sie gruppierenden Armutsindustrie (Trägereinrichtungen) und der sich um die Not der palästinensischen Flüchtlinge seit Jahrzehnten gruppierenden „Nothilfeindustrie“ aus vielen Ländern und von vielfältigen Einrichtungen mitgetragen, durchaus den Unterschied zwischen Symptom- und Ursachenbekämpfung. Nur die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Freiheit von menschengemachter Not und Ausgrenzung ermöglicht eine schrittweise Trennung des Nationalen vom Religiösen und ihre Herauslösung aus dem Bereich des unmittelbar Politischen.
Solange Menschen ums nackte Überleben kämpfen müssen, bleiben völkische und religiöse Empfindungen elementar. Erst ab einem gewissen Sozialstandard oder besser noch im sozialen Frieden können nationale und religiöse Verschiedenheiten unter glücklichen Umständen kulturell befruchtend wirken.
Rudolf Reddig